Klausur: Verbot der religiösen Beschneidung bei kleinen Jungen? (Textgebundene Erörterung)

Im folgenden findet ihr eine vollständige Klausur (Textgebundene Erörterung) zur Fragestellung: „Sollte die religiöse Beschneidung von kleinen Jungen erlaubt bleiben?“

Bearbeitungszeit: 90 Minuten

Text: http://www.taz.de/!574345/

Aufgabenstellung: Stellen Sie die von der religiösen Beschneidung betroffenen Grundrechte in ihrem Schutzbereich sowie ihren Einschränkungen dar. Analysieren Sie den vorliegenden Artikel hinsichtlich der verschiedenen Positionen zum Beschneidungsgesetz. Erörtern Sie, ob es verhältnismäßig ist, die religiöse Beschneidung bei kleinen Jungen gesetzlich zu erlauben. Berücksichtigen Sie dabei die Kriterien des legalen Zwecks, der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit.

 

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland wurde im Mai 1949 in Bonn verabschiedet und gilt als „Verfassung der Deutschen“ als politische und rechtliche Grundlagen allen Handelns in der Bundesrepublik Deutschland.

Im vorliegenden Fall konkurrieren vor allem zwei Grundrechtsartikel miteinander, wobei beides Menschenrechte sind und somit nicht nur für deutsche Staatsbürger, sondern für alle gelten. Auf der einen Seite steht Artikel 2, Absatz 2 des Grundgesetzes, der physische und psychische Gesundheit, allerdings kein soziales Wohlbefinden, garantiert (z.B. Todesstrafe, Körperstrafe). Dieser Artikel kann lediglich durch ein andere Gesetz eingeschränkt werden, jedoch sind Folter und die Todesstrafe notstandsfest und damit davon ausgenommen. Konkurrierend dazu steht Artikel 6, Absatz 2 des Grundgesetzes, in dem den Eltern freie Entscheidung über die Erziehung und Pflege (Sorge für das körperliche Wohn und Sorge für seelische bzw. geistige Entwicklung des Kindes) ihres Kindes garantiert wird. Dieser Artikel kann lediglich durch eine immense Kindswohlgefährdung, egal ob physischer oder psychischer Art, eingeschränkt werden. In diesem Fall kann den Eltern durch staatliche Institutionen wie Polizei bzw. das Jugendamt das Sorgerecht entzogen werden. Außerdem spielt noch das Menschenrecht, welches in Artikel 4 verankert ist, eine Rolle. Dies garantiert in Artikel 2 das Recht auf freie Religionsausübung, wobei dieses Recht nur durch andere Gesetze eingeschränkt werden kann (z.B. Neutralitätspflicht des Staates in der Schule).

Der mit vorliegende Artikel „Über das Beschneidungsgesetz: Lust an der Zwangsbelehrung“ des Autors Daniel Bax erschien am 21.12.2012 in der Zeitung „taz“. Er behandelt die Ursprünge sowie die rechtliche Situation der Beschneidung in der Bundesrepublik Deutschland.

So sei die Beschneidung, also die Entfernung der männlichen Vorhaut, neben medizinischen u. kulturellen Gründen vor allem im Judentum und Islam als religiöse Praxis vorzufinden (vgl. Z. 1ff.) Diese sei zwar „für die Religionszugehörigkeit [nicht] zwingend notwendig“ (Z. 5f.), werde aber trotzdem oft im Säuglingsalter durchgeführt.

Das seit 2012 geltende Beschneidungsgesetz regelt, dass eine medizinisch nicht notwendige Beschneidung erlaubt ist, wenn diese im ärztlich korrekten Rahmen stattfindet – auch und vor allem für „nicht einsichts- und urteilsfähige männlich[e] Kind[er]“ (Z. 7ff.). Der Autor gibt zu bedenken, dass es sich bei dem Eingriff zweifelsohne um einen Verstoß gegen Artikel 2 des Grundgesetzes handle (vgl. Z. 1 f.). So sei es richtig, dass der Staat nicht alles, was von Teilen der Bevölkerung als religiöse Handlung begründet wird, toleriert und hierbei Rechtsgüter abwägt (vgl. Z. 2 ff.). Eine im Bundestag mit großer Mehrheit verabschiedete Regelung zur Beschneidung sei jedoch begrüßen, das diese „[…] den Rechts- und Religionsfrieden wiederherstelle“, Z. 11 f. Das 2012 gefällte Urteil, das eine Beschneidung als Körperverletzung wertete, habe nämlich zu enormer Rechtsunsicherheit geführt und sei deshalb kritisch zu betrachten (vgl. Z. 12).

Wenig überraschend sei die ablehnende Haltung von mehr als 70 % der deutschen Bevölkerung, da die Debatte letztendlich Bräuche behandle, die den Deutschen fremd seien (vgl. Z. 17). Fremdheit seit für das deutsche Volk ein Problem: So würden sie die Burka, den Moscheenbau, den Minarettenbau und als logische Konsequenz auch die Beschneidung ablehnen (vgl. Z. 23 ff.). Der Bundestag schloss sich der Mehrheitsmeinung nicht an und schütze damit laut Bax die zwei religiösen Minderheiten im Leben. So sei ein Nachgeben mancher Politiker reiner Populismus und niemand dürfe den Minderheiten vorschreiben „[…] wie sie ihre Religion zu leben haben“, Z. 29ff. Eine Diskussion darüber solle man den Betroffenen selbst überlassen, das nur diese eine Reform ermöglichen würden – Einflussnahme von außen sei zwecklos (vgl. Z. 33 f.).

Im folgenden möchte ich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit eines Verbots der Beschneidung anhand des Grundgesetzes erörtern.

Zuerst sei zu bedenken, dass der Zweck des Verbots zweifelsohne legal wäre, da dieser die körperliche Unversetzheit des Kindes, veranktert in Artikel 2, Abs. 2 GG, schützen würde. Außerdem wäre der Eingriff auch bezüglich Artikel 6 legitimiert, da dieser durch eine Kindswohlgefährdung eingeschränkt werden kann. Ebenso wie das Recht auf freie Religionsausübung niedriger als das Recht auf körperliche Unversehrtheit anzusiedeln ist, da man ansonsten sämtliche menschenunwürdige kulturelle und religiöse Praktiken (z.B. weibliche Beschneidung) ebenso zulassen müsste. Ein Verbot scheint auch erforderlich – man könnte die Eltern zwar über die Risiken und Gefahren aufklären, da es sich aber um eine religiöse Praktik handelt, muss der Erfolg einer Aufklärung zumindest angezweifelt werden. Da die Aufklärung und Prävention also keine Garantie schafft, ist ein Verbot ebenso erforderlich. Zuletzt wäre auch die Angemessenheit eines Verbots gegeben, da die Schmerzfreiheit des Kindes klar der Entscheidungsfreiheit der Eltern überwiegt – so wie es auch im Grundgesetz klar verankert ist.

Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass eine Gefährdung des Kindwohls in Form der Beschneidung klar eine Einschränkung vor Art. 6 und damit der freien Entscheidung der Eltern rechtfertigt. Natürlich darf jeder seine Religion ausübe, jedoch muss dies im Einklang mit dem Grundgesetz stattfinden, weshalb ein körperlicher Eingriff an Säuglingen nicht geduldet werden darf, eine Einschränkung der Religionsfreiheit scheint also sinnvoll. Der alternative Gesetzentwurf, der die Beschneidung erst ab 14 Jahren und der damit einhergehenden Religionsmündigkeit erlaubt, wurde zwar diskutiert, aber schließlich abgelehnt. Ebendiese erscheint mit durchdachter und moderner – so kann jeder aus freiem Willen heraus entscheiden, wo, ob und wann er einen solchen Eingriff in Erwägung ziehen möchte.