Textgebundene Erörterung: Vorratsdatenspeicherung

Im folgenden findet ihre eine Textgebunde Erörterung zum Themengebiet der Vorratsdatenspeicherung, welches immer wochenlang die Medien bestimmt. Als Textvorlage dient ein Artikel der Autorin Juli Zeh aus dem Jahre 2009.

Artikel: http://www.zeit.de/2009/33/Sicherheitswahn

Aktuell herrscht in Deutschland eine große Diskussion zum Thema der Vorratsdatenspeicherung. Erst vor kurzem hat der Bundestag erneut ein Gesetz gebilligt, welches es erlaubt, zum Zwecke der Verbrechensbekämpfung persönliche Daten von Internetnutzern mehrere Wochen lang pauschal zu speichern, auszuwerten und somit jeden unter Generalverdacht zu stellen. Doch dies ist nicht der erste Versuch ein solches Gesetz zu erlassen, denn bereits zuvor hat das EU-Parlament einen solchen Entwurf  mit dem Verweis auf eine unverhältnismäßige Grundrechtsverletzung verworfen. Der Artikel „Staatliche Überwachung: Sicherheit total“ von Juli Zeh, erschienen im Jahr 2009 in der Tageszeitung „Die Zeit“, setzt sich mit der Frage auseinander, inwiefern eine generelle Aufzeichnung intimster Daten wirklich zu mehr Sicherheit führen kann oder ob man damit mehr Aufwand betreiben würde, als die Daten Nutzen bringen.

Die Autorin führt Anfangs einige Hypothesen an, wie eine „sichere“ Welt für den einzelnen ausschauen könnte und behauptet, dass man sich auch durch eine komplette Verbannung von Kriminalität nicht sicherer fühlen würde (vgl. Z.25). Folgend wird behauptet, dass das Empfinden von Bedrohungen vom jeweiligen Menschen abhängig, also keineswegs objektiv, sondern gefühlsgeleitet sei. Denn eine Bedrohung verhalte sich „ […] nicht im Verhältnis zu einem irgendwie messbaren Gefahrenpotenzial, sondern anhand der Risiken, die jeder von uns wahrnimmt.“ (Z. 26ff.). Sicherheit hänge also nicht mit der tatsächlichen Gefahr zusammen, die von etwas ausgeht, sodass es Unsinn sei, wenn ein Politiker „totale Sicherheit“ verspräche, da diese faktisch nicht umzusetzen wäre. Es bestehe nämlich immer ein Restrisiko, das die Menschen aber aufgrund von vorgeführten Schreckensszenarien ausblenden würden. So sei es statistisch gesehen am wahrscheinlichsten, dass man „ […] beim Putzen des Bads oder im Auto eine unnatürlichen Todes sterben [werde].“ (Z.50f.), also ein „Krieg gegen den internationalen Straßenverkehr“ (Z. 52f.) theoretisch sinnvoller wäre, als gegen den Terrorismus vorzugehen. Zeh behauptet weiterhin, dass es der Natur des Menschen entsprechen würde „vor unwahrscheinlichen Ereignissen mehr Angst zu haben als vor wahrscheinlichen“ (Z. 55f.) und begründet dies mit der Evolution, bei der diese Eigenschaft Teil der Überlebensinstinkt gewesen sei. So würden wir, gesetzt dem Falle, der Mensch könne Gefahren rational bewerten, keine Kraftfahrzeuge mehr benutzen oder Treppen steigen (vgl. Z.59).  Die Autorin führt als Beispiel einen Vergleich an, bei dem die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Terroranschlags zu werden mit der Wahrscheinlichkeit, als Kind zu ertrinken verglichen wird. So bestehe lediglich ein Risiko von 1 zu vier Million, bei einem Terrorakt ums Leben zu kommen, wohingegen die Chance sieben mal höher ist, als Kind einen Ertrinkungstod zu erleiden. Trotz dieses scheinbar hohen Risikos käme niemand auf den Gedanken, Badeseen zu verbieten doch im Gegensatz dazu haben paradoxerweise „76 Prozent der Deutschen […] [Angst] […], Opfer eines terroristischen Anschlags zu werden.“ (Z. 71f.). Daraus folgert sie, dass das Gefühl der Sicherheit unabhängig von den uns ausgesetzten reellen Bedrohung exisiert. (vgl. Z. 81f.) Zum Abschluss appelliert sie, dass man sich lieber mit Statistiken beschäftigen solle, als den „medialen Angstprofiteuren“ (Z. 84) zuzuhören, denn nur hieraus könne man eindeutig erkennen, dass Deutschland immer sicherer werden würde. Dies führt die Autorin hauptsächlich auf die Integration, den sozialen Ausgleich und die Bildung zurück, da diese Faktoren für Frieden sorgen und nur dieser letztendlich für Sicherheit sorgen könne. (vgl. 90f.)

Juli Zeh benutzt in ihrer Kolumne eine Vielzahl von sprachlichen und rhetorischen Mitteln, um den Leser zu beeinflussen. Sie behandelt in ihrem Text ein höchstaktuelles Thema, welches den heutigen Zeitgeist beherrscht und die Menschen bewegt, allerdings dies sehr einseitig, da sie kaum auf die Gegenseite eingeht. Auffällig ist vor allem, dass sich die Verwendung des Personalpronomen „wir“ wie ein roter Faden durch den kompletten Text zieht um ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen bzw. eine sogenannte „Wir-Gruppe“ mit dem Lesen zu bilden. Die Autorin verallgemeinert  oftmals Standpunkte und setzt ihren eigenen Standpunkt als den aller voraus. („ Aber wir vergessen es, sobald uns Politiker und Journalisten die nächste Horrovision vor Augen führen. Wir wissen, […]“, Z. 47f.). Mit der Satzkonstruktion „Sind Sie jetzt sicher? Vielleicht. Fühlen Sie sich sicherer? Wahrscheinlich nicht.“ (Z. 24f.) regt sie den Leser zum Überdenken seiner eigenen Meinung an und versucht ihren eigenen Standpunkt zu festigen. Zur Verdeutlichung ihrer Beweisführung benutzt Zeh in Zeile 76 die Parenthese („ […] – gegen die eigenen Interessen – […]“). Weiterhin verwendet sie in ihrem Text das Stilmittel der rhetorischen Frage, wodurch sie die Wirkung ihrer Aussagen verstärkt und um Zustimmung wirbt. („Warum auch nicht? Schützen uns nicht gerade die umfassende Informiertheit der Behörden davor, Opfer eines Polizei- und Justizirrtums zu werden?“, Z. 3ff.). Fortfolgend benutzt Sie an zwei Stellen des Textes Zitate bekannter Persönlichkeiten, ein Mal des ehemaligen Außenministers Donald Rumpsfeld und zum Abschluss ihres Textes ein Zitat von Karl Popper (vgl. Z. 32f., 95f.). Dies dient zur Untermauerung ihrer Thesen, da der Leser hierdurch  auch andere, durchaus renommierte Meinung erfährt, die in diesem Fall die gleichen Ansichten wie Juli Zeh vertreten.

Juli Zehs Haltung zur Staatlichen Überwachung und dem Sicherheitsempfinden ist natürlich nicht unumstritten. Im Folgenden soll nun geprüft werden, inwieweit die von der Autorin angeführte Argumentation nachvollziehbar und korrekt ist.

Ich stimme mit Zehs Haltung größtenteils überein und sehe nur wenige unschlüssige Argumentationsketten ihrerseits. Allerdings sehe ich es als problematisch an, dass Sie die staatliche Überwachung komplett ablehnt, denn ein funktionierender Sicherheitsapparat ist in einem modernen Staat dringend nötig, da nur so organisierter Kriminalität Einhalt gebeten werden kann. So wurden zum Beispiel die sogenannten „Kofferbomber von Köln“, die auch Zeh in ihren Text anspricht, durch mehrmonatige Polizeiarbeit und den Informationsaustausch mit ausländischen Geheimdiensten daran gehindert, einen Terroranschlag zu verüben. Dies wäre ohne entsprechende Überwachungsmöglichkeiten nicht möglich gewesen, sodass für die Schwerkriminalität unbedingt Ausnahmen gemacht werden sollten. Weiterhin steigt die Internetkriminalität seit Jahren immer weiter an, da sich das Internet in immer mehr Bereiche unseres Lebens integriert und es somit ein Leichtes, hier Verbrechen zu begehen. Dem entgegenwirken kann man nur mithilfe der Vorratsdatenspeicherung, da im Falle des Abgreifens von Kontodaten oder eines Identitätsdiebstahls im Internet der Täter ansonsten in völliger Anonymität handeln kann. Durch entsprechende technische Mittel können nämlich auch IP-Adressen verfälscht werden, sodass eine Rückverfolgung mit viel Aufwand verbunden ist und falls keine Daten gespeichert werden eine Aufklärung praktisch unmöglich wird.

Allerdings ist der Nutzen im Vergleich zum Aufwand, der für eine effiziente Speicherung betrieben werden müsste absolut unverhältnismäßig. So müssten die Provider ihre Infrastruktur immens ausbauen, um solch unvorstellbar großen Datenmengen dauerhaft speichern zu können. Diese Kosten würde der Netzbetreiber natürlich auf die Kunden abwälzen bzw. den Staat für diese Investitonen zur Kassen bitten, sodass diese zwangsläufig vom Steuerzahler finanziert werden müssten. Allein die Geheimhaltung recht banaler Steuerdokumente beispielsweise kostet die USA jährlich mehre Milliarden US-Dollar, sodass man hochgerechnet auf die Datenmengen, die zur Vorratsdatenspeicherung nötig wären, von einem zweistelligen Milliardenbetrag ausgehen kann.

Weiterhin wird durch eine Überwachung keine Sicherheit garantiert, da immer wieder Personen durch das Raster fallen und somit einer nähergehenden Bewachung entgehen. Sogenannte „Schläfer“ führen bis zu ihrem Terroranschlag meist ein vollkommen unauffälliges Leben und bieten somit keine Grundlage zur Überwachung für den Staat. Dies führt dazu, dass die Daten erst im Nachhinein, also nach einem terroristischen Akt, verfolgt und ausgewertet werden können, die eigentlich Tat jedoch kann nicht verhindert werden, womit eine staatliche Überwachung ihr Ziel verfehlt. Vor allem aber liegt das Problem darin, dass die Grundrechte der Menschen durch eine staatliche Überwachung massiv eingeschränkt werden. So gilt in einem demokratischen Rechtsstaat laut Grundgesetz die Unschuldsvermutung, d.h. ohne explizite Beweise bzw. Anhaltspunkte gilt ein Mensch als unschuldig und gesetzestreu. Durch eine pauschale Überwachung zum Zwecke der Sicherheit kommt es jedoch zu einer kollektiven und anlasslosen Speicherung intimster Daten. So wird jeder Vorgang im Internet dauerhaft gespeichert, sei es ein Einkauf, ein Gespräch oder das Herunterladen von Dateien, völlig irrelevant von wem diese Dateien stammen. Auch die Verhältnismäßigkeit, welche besagt, dass ein angestrebtes Ziel mit der Lösung des minimalen Grundrechtseingriffs erreicht werden muss, wird durch eine Pauschalüberwachung verletzt, sodass eine staatliche Kollektivüberwachung allein aus Sicht des Grundgesetztes schon absurd erscheint.

Aus dem vorher gesagten wird deutlich, dass eine Staatliche Überwachung zum Zwecke der Sicherheit weder vertretbar, noch effektiv wäre. So halte ich es zwar für grundsätzlich richtig, in Ausnahmefällen eine Überwachung unter strengen Auflagen zu ermöglichen, lehne eine grundsätzliche Kontrolle des Datenverkehrs jedoch strikt ab. Ich würde die sogenannte „Quick Freeze“-Praxis, bekannt aus den USA für sinnvoll halten. Hierbei wird in begründeten Verdachtsfällen auf einen richterlichen Beschluss hin die Sicherung der Telekommunikationsdaten des jeweiligen Verdächtigen veranlasst, sodass im Gegensatz zur Vorratsdatenspeicherung eine individuelle und anlassbezogene Speicherung erfolgt. Es bleibt weiterhin fraglich, ob der Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung von der EU erneut abgelehnt wird und wie sich die Entscheidung auf zukünftige Gesetzentwürfe des Bundestages auswirken wird. Eines ist jedoch sicher: Das Thema Vorratsdatenspeicherung wird auch in den kommenden Jahren die Tageszeitungen füllen und die Menschen beschäftigen.