Friedrich Schiller: Die Räuber

Im folgenden findet ihr eine Szenenanalyse aus Friedrich Schillers Die Räuber, in der zwei Mitglieder der Räuberbande sich u.a. über ihren Anführer Karl Moor unterhalten.

Die vorliegende Szene entstammt dem Schauspiel „Die Räuber“ von Friedrich Schiller, welches 1782 seine Uraufführung in Mannheim feierte. Der Ausschnitt handelt von einer Unterhaltung zweier Mitgliedern der vom Hauptprotagonisten Karl Moor geführten Räuberbande, wobei dieser u.a. auch als Gesprächsthema dient. Das Werk Schillers ist in die Zeit der Aufklärung, genauer der literarischen Bewegung des Sturm und Drang zuzuordnen, welche für ein Recht auf Empfindsamkeit, den Geniekult, das Selbsthelfertum und Gesellschaftskritik steht. Diese Motive werden v.a. von Karl Moor, der Hauptperson des Schauspiels durch seinen feurigen, idealistischen Charakter vertreten.

Im Folgenden soll nun der Inhalt des Dramenauszugs kurz zusammengefasst werden. Anfangs erzählt Spiegelberg von seiner Taktik, mit der er neue Mitglieder für seine Bande zu werben versucht.  Fortlaufend während der Unterhaltung hören die beiden laute Schüsse, schieben dies jedoch auf ein Gewitter („ – Horch doch! Was für ein Knall war das? Es war gedonnert, nur fortgemacht!, Z. 12f.). Nachdem sie auch Schwarzpulver riechen, vermuten sie, dass es „ […] in der Näh was gesetzt haben [müsse], Z. 31f. Razmann und Spiegelberg amüsieren sich gemeinsam köstlich über die Erzählungen und philosophieren deshalb lange, mit welchen Methoden Spiegelberg Leute rekrutiert. Daraufhin erzählt Razmann jedoch von Karls Vorgehen, welches wesentlich nobler und ehrenhafter ist als das Spiegelbergs. So versuche er, andere für Verbrechen oder stark unmoralisches Vorgehen zu bestrafen und spendet erbeutetes Geld an Bedürftige („Er mordet nicht aus Raubes willen wie wir – nach dem Geld schien er nicht mehr zu fragen […] und sein Dritteil an der Beute […] verschenkt er an Waisenkinder […], Z. 38ff.). Spiegelberg bittet letztendlich Razmann, dass das „ was [er ihm] vorhin erzählt habe, […] unter [ihnen bleibt , denn] er [Karl d. Rede] brauchts nicht zu wissen.“, Z.64f. Gegen Ende des Ausschnitts eilt Schwarz herbei, und macht die beiden darauf aufmerksam, dass ganz in der Nähe etwas wichtiges passiert sei, das u.a. den gefangenen Räuber Roller betrifft.

Um die Szene nachvollziehen zu können, wird diverses Vorwissen zum Hauptcharakter Karl von Moor vorausgesetzt. Karl, Student in Leipzig, wird durch eine Intrige seines Bruders Franz, der einen Brief seines Vaters gefälscht hat, in tiefe Verzweiflung und Wut gestürzt, da er denkt, er sei vom Vater verstoßen worden. Im Affekt schließt sich Karl daraufhin noch am selben Abend als Hauptmann einer Räuberbande an, welcher unter anderem auch Spiegelberg und Razmann angehören. Moritz Spiegelberg sieht sich von Anfang an als eigentlicher Führer der Räuber an, muss sich jedoch der Mehrheit beugen und Karl in seiner Führungsposition anerkennen. Er versucht den neutralen Razmann durch seine Werbetour für neue Mitglieder von seinen Fähigkeiten zu überzeugen und inszeniert sich hierbei selbst als „Teufel“. Razmann ist jedoch lediglich belustigt von Spiegelbergs Erzählungen und preist Karls Ruf hoch an wodurch er die beiden Personen als Gegenspieler statuiert. Der idealistische Hauptmann Karl kann sich jedoch immer weniger mit den Taten seiner Bande identifizieren und sieht seine Wertvorstellungen verletzt. Er verwickelt sich hierdurch immer weiter in eine tiefe Schuld, die ihm schwer zusetzt und ihn letztendlich zu seinem tragischen Ende treibt. Der Auszug ist im dritten Akt der zweiten Szene vorzufinden und stellt Karls endgültigen Wendepunkt dar, da er die vorgefallenen Taten, die kurz zuvor begangen wurden, nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann. Trotz allem entschließt sich Karl nach einem Vertrauensbeweis seiner Räuber dazu, weiterzukämpfen und nicht aufzugeben.

Die Szene spielt in den böhmischen Wäldern nahe der sächsischen Grenze, wo der Räuber Spiegelberg auf seinem Kumpanen Razmann trifft. Spiegelberg berichtet anfangs von seinem Vorgehen und den dabei verwendeten Methoden zum Anwerben neuer Mitglieder der Räuberbande. So stellt sich Spiegelberg selbst als „Mäkler des Satans“ dar,  Er rückt seine eigene Person hierbei in ein sehr positives Licht und möchte Razmann so auf seine herausragende Leistung aufmerksam machen, was dieser jedoch erkennt und mit dem guten Ruf des Hauptmannes der Räuberbande, Karl Moor, beantwortet. Dieser hat nämlich im Gegensatz zu Spiegelberg einen hohen moralischen Anspruch, da er die Übergriffe der Herrschenden rächen möchte und diesem Ziel mit ausserordentlichem Ehrgeiz nachgeht („[…] da ist er dir in seinem Element, und haust teufelsmäßig, als wenn jede Faser an ihm eine Furie wäre“, Z. 44f.). Es geht hierbei also vor allem um Informationen über die Charaktere der Beteiligten, weshalb auch kaum szenische Anweisungen vorliegen. Razmann agiert als neutraler, aber durchaus verständnisvoller Gesprächspartner, der die Unterhaltung durch Spiegelberg genießt, jedoch stets unter Karl Moors positivem Einfluss steht. Spiegelberg jedoch ist ein kaltherziger und nahezu größenwahnsinniger Räuber, der stets seinen eigenen Vorteil sucht und dabei nicht vor extremen Methoden zurückschreckt. Nichtsdestotrotz scheint er Respekt dem Hauptmann Karl gegenüber zu haben, da er seine Taten vor ebendiesem geheimhalten möchte.

Nachdem nun der Handlungszusammenhang geklärt wurde, sollen im weitern Verlauf die beiden Figuren der Szene näher charakterisiert werden. Razmann agiert hierbei als reine Nebenfigur mit kaum individuellen Zügen, die ihn auszeichnen können. Er ist jedoch ein loyaler Räuber, der schon seit der Gründung Mitglied ist und Karl Moors Verhalten anerkennt, wodurch dieser als ein Vorbild für den Räuber Razmann agiert. So bewundert er Karls edle Motive und sein Auftreten den Armen und Bedürftigen gegenüber, genießt aber trotzdem die materiellen Erfolge der Raubzüge und folgt Karl damit nicht vollends („[…] aber ich sage dir, der Ruf unseres Hauptmanns hat auch schon ehrliche Kerle in Versuchung geführt“, Z. 35f.). Spiegelberg dient als Karl Moors größter Widersacher, da er sich bereits seit Gründung als eigentlicher Kopf der Räuberbande sieht und sich zu „höherem“ berufen fühlt.  Er ist ein sehr impulsiver Mensch, der durch Zynismus, Hinterlistigkeit und Raffinesse heraussticht. So treibt er skrupellos Menschen gezielt in die Perspektivlosigkeit  bzw. in den Abgrund, um dann ihr Elend für seine eigenen Ideen und Zwecke auszunutzen („[…] da hättest du den Kerl sehen sollen die Augen aufreißen, und anfangen zu zappeln wie ein nasser Pudel […] Hahaha! Mit Speck fang man Mäuse – lach ihn doch aus, Razmann! Hahaha!“, Z. 21ff.). Seine derben Charaktereigenschaften werden auch durch die Sprachverwendung deutlich, die durchweg mit einer Vielzahl von Kraftausdrücken gespickt ist („dumme Bestie“, Z.18). Karl Moor wird vor allem durch seinen Bewunderer Razmann charakterisiert, als dieser in hohen Tönen von ihm spricht. Folglich ist Karl der legitimierte Kopf der Räuberbande, der durch seine Impulsivität und seinen Idealismus herausragt. Führt er Raubzüge, so macht er dies nie aus Habgier heraus, sondern um Gerechtigkeit mit Gewalt den Weg zu bahnen. Der Hauptmann erliegt also dem Glauben, dass er Unrecht durch verbrecherische Taten ausgleichen könne, was ihm letzten Endes auch zum Verhängnis wird, da er sich in immer tiefere Schuld verstrickt. Seine erbeuteten Anteile gibt er stets an Bettler und Waisenkinder weiter, sodass er im Prinzip keinen Räuber im klassischen Sinne darstellt, sondern vielmehr vergleichbar mit „Robin Hood“ ist, indem er die Adligen und Advokaten bestraft und deren Reichtum an die wirklich Bedürftigen weiterleitet. („Aber soll er die einen Landjunker schröpfen, der seine Bauren wie das Vieh abschindet […] – Kerl! Da ist er dir in seinem Element […]“, Z. 41ff.).

Weiterhin soll nun die sprachliche Gestaltung des Dialogs zwischen Razmann und Spiegelberg untersucht werden. Auffallend ist vor allem der beinahe vollständige Verzicht auf Regieanweisungen während der Szene, in der lediglich kurz vor Schluss eine einzige szenische Anweisung erfolgt. Es ist kein Versmaß zu erkennen, da die Prosasprache, also eine formal ungebundene Schreib- und Redeweise verwendet wird. Im Vordergrund steht dagegen die Schilderung von Sachverhalten, es werden viele Fakten genannt, die zunächst Spiegelberg charakterlich festlegen. Im gesamten Dialog wird eine derbe „Räubersprache“ benutzt, die das Verhalten der Figuren widerspiegelt und die Szene somit lebendig und authentisch erscheinen lässt. Spiegelberg agiert als  Ratgeber für das Räuberhandwerk, welches er durch eine stark ausgefeilte Rhetorik seinem Räuberkollegen Razmann näherzubringen versucht. Er verwendet außerdem viele Fremdwörter und einen weitläufig verschlungenen hypotaktischen Satzbau („Glaube mir Bruder! […] so ist der Teufel Meister – Der Schritt ist dann so leicht – o so leicht, als der Sprung von einer Hure zu einer Betschwester – Hoch doch! Was für ein Knall war das?“, Z. 10ff.). Sein stark ausgeprägter verführerischer Intellekt wird durch die vielen Redewendungen und lautmalenden Ausdrücke deutlich, so verwendet er mehrmals die Begriffe „Teufel“ bzw. „Satan“ (Z. 18, 23). Er macht sich weiterhin das Stilmittel der Methapher sowieso das der Parenthesen zunutze, welche er auffallend häufig benutzt (vgl. Z. 20ff.). Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass Spiegelberg seinen Gesprächpartner direkt und emphatisch angibt und sich ihm gegenüber als väterlicher Ratgeber wie auch als männlicher Gesprächspartner gibt. Dies erreicht er vor allem durch seine enorme rhetorische Bandbreite, die er durchwegs gekonnt einzusetzen weiß. Sein Gesprächspartner Razmann besitzt jedoch eine ebenso flexible rhetorische Bandbreite, indem er häufig französische und deutsche Phrasen verwendet und diese durch eine lautmalende Sprache bzw. alltagspraktische Vergleiche und Begriffe aus der griechischen Mythologie unterstützt („Kanaille“, Z. 59).

Die Böhmischen Wälder dienen als Schauplatz der Szene und gleichzeitig als Rückzugs- sowie Handlungsort der Räuber. Spiegelberg agiert als hinterhältig-satanische Figur (Z. 11, 18, 23, 29f.), welche durch den Hauptmann Karl Moor als Robin-Hood-Figur mit ambivalenten Zügen kontrastiert wird (Z. 38f., 60f.). Schiller nennt sein Drama in der „unterdrückten Vorrede“ einen „dramatischen Roman, und kein theatralisches Drama“. Daher kehrt er in die Räuber auch von Theaterkonventionen ab, indem er lange inhaltliche Ausführungen ohne Handlung gibt, nicht vor Tabuthemen Halt macht und auf eine klare Konfrontation der Gegensätze aus ist, was allein durch die gegensätzliche Figurenwahl deutlich wird.

Karl wird direkt durch die Schilderungen Razmanns charakterisiert und indirekt durch die Konfrontation mit Spiegelbergs hinterhältigem Verhalten. Deutlich wird sein narzisstischer Charakter: Er nimmt die Gerechtigkeit, die es in der gegenwärtigen Gesellschaft offenbar nicht gibt, in die eigene Hand und versucht diese wiederherzustellen. Damit erhebt er einen Machtanspruch, der schlichtweg übermenschlich ist, da er sich Befugnisse anmaßt, die ihm allein nicht zukommen. Indem er seiner Räuberbande dann das Plündern überlasst und sich „stolz“ und „edel“ abwendet, macht er deutlich, dass er mit ihren niedrigen und verwerflichen Interessen nichts zu tun haben möchte. Er gibt vor, im Namen einer höheren Moral zu handeln, verstrickt sich jedoch selbst in schwerwiegende Verbrechen, wodurch er sich in eine ausweglose Situation hinein katapultiert. Diese Entwicklung setzt schon mit der Gründung der Bande und Karls Einverständnis, Hauptmann der Räuberbande zu werden, ein. Karl Moor schwört und fordert „Treue und Gehorsam […] bis in den Tod“ (S. 31, Z. 26f.). Erneuert wird der Schwur in Szene II.4, weobei er zuletzt von seinen Kumpanen in der zweiten Szene des fünften Akts ein seinen geleisteten Treueschwur erinnert wird, was zugleich das Ende seines Räuberdaseins mit sich bringt.

Meine anfänglich aufgestellte Deutungsthese sehe ich durch ausreichend Belege als gestützt an.

Der Szenenausschnitt wirkt auf mit sehr gelungen, da er die Charaktereigenschaften der beiden kontrastierenden Personen Spiegelberg und Karl Moor nahezu perfekt inszeniert. Meiner Meinung nach wird während dem Dialog deutlich, dass der arrogante und egoistische Spiegelberg im Grunde genommen Angst vor der Autorität Karl Moors hat, was auch an seinem hinterhältigen Machtergreifungsversuch deutlich wird. Der Hauptmann verteidigt nämlich im Gegensatz zum primitiven Räuber tatsächlich höhere Ziele, nämlich ein freies und selbstbestimmtes Leben für Jedermann, ohne eine staatlicher Repression fürchten zu müssen. Es ist kaum verwunderlich, dass das Drama aufgrund seiner Inhalte und behandelten Themen zu seiner Zeit für große Furore gesorgt hat und dass Friedrich Schiller acht Jahre später bei der Vollsammlung der französischen Revolution, welche den Wertekanon Karl Moors teilweise widerspiegelt, sogar zum Ehrenbürger Frankreichs gekürt wurde.