Karl Moor – Friedrich Schiller: Die Räuber

Karl Moor ist die Hauptperson in Friedrich Schillers Drama „Die Räuber“  aus dem Jahre 1781, welches in der Epoche des Sturm und Drang verfasst wurde. Karl ist der erstgeborene Sohn des regierenden Grafen Maximilian von Moor und dadurch alleiniger Erbe von Vermögen und Thron.

Das Aussehen Karls wird ebenso wie sein Alter nicht explizit beschrieben. Der Leser erfährt lediglich, dass der vermutlich zwischen 20 und 30 Jahren alter Hauptprotagonist attraktiver als sein Bruder Franz sei. Karls Verhalten war schon von Kindesbeinen an ambivalent. Einerseits war er der rebellierende Sohn, der lieber mit den Dorfjungen spielte, anstatt sich von ihnen aufgrund seins Adelsstandes fernzuhalten wodurch er die Unterschiede zwischen Herrschenden und Beherrschten zu nivellieren versuchte. („[Karl], noch ein Knabe, [hetzte] mit Gassenjungen und elendem Gesindel auf Wiesen und Bergen sich herum“, S. 13). Andererseits jedoch konnte er sich mit den Gesetzen der Gesellschaft identifizieren und strebte danach, ein Teil ebendieser zu werden („Da ich noch ein Bube war – war’s mein Lieblingsgedanke, wie sie zu leben, zu sterben wie sie“, S.86). Die Mutter der beiden Brüder wird nicht näher betrachtet, da sie vor längerer Zeit bereits verstorben sei. Die restliche Familie, Maximilian Moor und Franz Moor, wohnt in einem Schloss, hat Bedienstete und nimmt sogar Waisenkinder auf, sodass man davon ausgehen kann, dass die Familie über ein immenses Vermögen verfügt. Allein hierdurch kann auch das damals sehr teure Studium Karls in Leipzig ermöglicht und finanziert werden. Karl Moor studierte einige Zeit ordnungsgemäß in Leipzig (vgl. S.28), lebte dort aber ein sehr ausschweifendes Studentenleben, welches ihn zunehmend auf die schiefe Bahn geraten lässt („Stinkereyen“, S.27). Spiegelberg, ein Freund Karls, fragt ihn ob „ […] ihr im Schuldthurm stecken [wollt], und zusammenschnurren bis man zum jüngsten Tag posaunt?“, S. 30. und verdeutlicht somit die prekäre Situation, in der sich Karl Moor befindet. So hält sich Karl mit seinen Kumpanen die meiste Zeit in einer Schenke an der sächsischen Grenze auf, wo sie jedoch „keinen Augenblick sicher […] aufgehoben [seien]“, S. 28.  Der schuldbewusste Karl schreibt daraufhin einen Brief ein seinen verehrten Vater, in dem er um Vergebung seiner getriebenen Schindluder bittet.  Aufgrund der Bevorzugung Karls durch den Vater und seiner Liebschaft zu Amalia, welche Franz ebenso verehrt sieht dieser in seinem Bruder eher einen Rivalen, was ihn dazu veranlasst, den Brief abzufangen und zu fälschen um Karl zu zeigen, dass er unerwünscht sei. So charakterisiert Franz seinen Bruder als ihm entgegenstehende Kontrastperson in seinen wichtigsten Merkmalen, welche sich im Verlaufe des Dramas auch in gewissen Zügen Karls bestätigen. Karl nimmt nämlich eine ablehnende Haltung gegenüber gesellschaftlichen und geistigen Institutionen ein und drängt auf die individuelle Freiheit gegenüber einschränkenden Konventionen („[…] den Anblick der Kirche, wie ein Missetäter das Gefängnis, flog, und die Pfennige, die er Euch abquälte, dem ersten dem besten Bettler in den Hut warf […]“, S.13). Als Karl den gefälschten Brief empfängt, bricht für ihn eine Welt zusammen, woraufhin er allein im Rachegedanken an der Menschheit wieder Kraft findet. Die zuvor von Bruder Franz geschilderten Eindrücke von Karl Moor werden sodann bei seinem ersten Auftritt bestätigt, als sich der Zuschauer mit einer impulsiven und aufbrausenden Hassrede des „Rebellen“ gegen das „schlappe Kastratenjarhundert“ (vgl. S.22) konfrontiert sieht. Aufgrund der Verstoßung durch den Vater verliert Karl sogleich den Glauben an das Gute im Menschen und schließt sich unter einem Treueschwur als Hauptmann einer mordenden Räuberbande an, um gegen die Verlogenheit der Menschen und die ihm entgegengebrachte Ungerechtigkeit zu kämpfen und um das Geschehene zu verdrängen („Nun, und bei dieser männlichen Rechte schwör‘ ich euch hier, treu und standhaft euer Hauptmann zu bleiben bis in den Tod!“, S.37). Karl Moors paradoxe Gefühlswelt wird unmittelbar nach Eintreffen des intriganten Briefes deutlich, als er kurz zuvor noch von der „väterlichen Haine“ schwärmte und diese nun als „Käficht“ bezeichnet (vgl. S.27). Es wird also deutlich, dass Karl nicht aus materieller Not heraus mordet und raubt wie viele seiner Gleichgesinnten, sondern allein aus moralischen Motiven. Im Verlauf des Dramas widersprechen sich Karls und Ziele und Mittel seiner Taten jedoch zunehmend („O pfui über den Kindermord! Den Weibermord! – Den Krankenmord! Wie beugt mich diese Tat! Sie hat meine schönsten Werke vergiftet […], S.72). Nachdem der Hauptprotagonist seinen Räubern eine Falle stellt, um ihren Mut und ihre Treue auf die Probe zu stellen, wird deutlich, dass auch Karl Menschen für seine Zwecke instrumentalisiert. Diese Taten rechtfertigt er jedoch trotz Schuldbewusstsein, indem er den gesellschaftlichen Instanzen die Schuld zuweist und diese somit zum allgemeingültigen Sündenbock ernennt. (vgl S.73). Während seinem Räuberdasein schwelt in Karl dauerhaft die innerste Sehnsucht, wieder in das Schloss zurückzukehren um seine Geliebte Amalia anonym zu besuchen. Der seine Ankunft einleitende Entscheidungsmonolog ist ein prägnantes Beispiel für Karls widersprüchliches und sprunghaftes Verhalten. So ist Karl anfangs überwältigt vom Anblick seiner Heimat und den Erinnerungen an seine Kindheit, woraufhin im jedoch bewusst wird, dass er aufgrund seiner Taten keine Hoffnung mehr auf eine Wiedereingliederung in die Familie hat. Letztendlich aber erliegt er doch seinen anfänglichen Emotionen und betritt das Schloss mit dem Gewissen, dem Räuberleben niemals entfliehen zu können und leitet somit das unausweichliche Ende ein (vgl. S. 95). Der Besuch erschüttert ihn zutiefst, woraufhin er wieder in sein altes Leben zurückkehren möchte und seinen vorher geleisteten Treueschwur aus Egoismus und Rücksichtslos seiner Räuberbande gegenüber völlig ausblendet. Diese erinnert ihn jedoch schon bald daran, dass er Amalia angesichts ihres Paktes selbst umbringen müsse, sonst würde es einer von ihnen erledigen („[…] – Moors Geliebte soll nur durch Moor sterben!“, S. 129). Seine Unterwerfung am Ende des Dramas steht schlussendlich in direktem Kontrast zu dem anfänglichen Rebellentum, da sie Karls Einsicht in die Verfälschung eines richtigen Ziels durch falsche Mittel zeigt. („O über mich Narre, der ich wähnete die Welt durch Gräuel zu verschönern, […] da steh ich am Ende eines entsetzlichen Lebens, und erfahre […] dass zwei Menschen wie ich den ganzen Bau der sittlichen Welt zu Grunde richten würden.“, S. 148). Karl verwendet während des gesamten Schauspiels einer sehr expressive Sprache, welche durch viele extreme Metaphern und Emphasen geprägt ist („Oh ich möchte den Ocean vergiften, daß sie den Tod aus allen Quellen saufen!“, S. 35).

Karl verkörpert folglich den klassischen Typ des Sturm und Drang, was an den für diese Epoche typischen Charaktereigenschaften deutlich wird. Er lebt heftig und impulsiv und trifft aufgrund dessen auch verhängnisvolle Entscheidungen. Da er jede Form von Unterdrückung und Ungerechtigkeit stark ablehnt, versucht er, mit allen ihm verfügbaren Mitteln dagegen vorzugehen und schreckt dabei vor Gewaltanwendung nicht zurück. Andererseits verliert er hierbei nie sein eigentliches Ziel und seinen Idealismus aus den Augen, da er stets den Armen und Schwachen durch Almosen hilft. Zudem ist er gut gebildet, klug, selbstbewusst und äußerst beliebt, was ihn zu einem typischen Vertreter der literarischen Epoche des Sturm und Drangs macht.

Gegen Ende des Schauspiels wird er aber letztendlich zu einem erklärten Gegner der traditionellen Gesellschaft und den Erwartungen des Vaters, sodass seine Aussagen als Kind hinfällig sind.

Meiner Meinung nach verkörpert Karl einen tragischen Held im klassischen Sinne. So ist er im Grunde genommen ein äußerst guter Mensch, der versucht wichtige Werte in die Welt hinauszutragen und wird erst durch die Intrigen seines Bruders in Unglück und Verderben gestürzt. Doch auch in dieser schwierigen Situation ist er seinen Männern stets ein hervorragender und loyaler Hauptmann, der für die Freiheit von staatlicher Gewalt eintritt und die individuelle Freiheit des Einzelnen verteidigt. Auch durch sein Ende, mit dem er noch eine von Armut bedrohte Familie rettet, zeigt Karl, dass es ihm nie um Macht oder Geld ging, sondern lediglich um ein freies und glückliches Leben. Lediglich das unüberlegte Morden sowie manchmal allzu impulsives und egoistisches Handeln könnte man ihm vorhalten, doch auch dies hinterlässt bei Karl starke Gewissensbisse, die er durch seine Auslieferung letztendlich auch zu beruhigen versucht.